Warum ich den Aufruf „Wir sind die Urheber“ nicht unterzeichne

Die aktuelle Debatte um das Urheberricht erreichte gestern mal wieder einen neuen Höhepunkt, als 1.500 (Stand: gestern Abend) Schriftsteller, Musiker und Künstler den Aufruf Wir sind die Urheber unterzeichneten. Während ich den knappen Text las, wurde mir schnell klar, dass ich diesen Aufruf auf keinen Fall mitunterzeichnen werde, obwohl ich selber ein Urheber bin.

Zu den „Urhebern“ gehören Schwergewichte wie Charlotte Roche, Daniel Kehlmann, Mario Adorf und Sven Regener (der mit seinem polemischen Radiokommentar die Hochphase der Debatte selbst einläutete). Die Sichtweise, die aus ihrem Text spricht, erinnerte mich an eine Diskussion zum selben Thema, die ich im März mit Bernhard Hennen führte. Er sagte, er ärgert sich, wenn seine Bücher in Tauschbörsen gehandelt werden, wenn dabei zum Teil sogar Geld verdient wird, von dem bei ihm, dem Autor, aber nichts ankommt. Darum sehe er Inititiativen wie ACTA, die schärfere Internetkontrollen vorsehen, grundsätzlich positiv. Ich sah die Dinge anders als Bernhard, auch wenn ich meine Argumente noch nicht recht in Worte fassen konnte.

Kürzlich las ich dann in der taz ein Interview mit dem Brettspielentwickler Casasola Merkle. Darin sagt er:

Eine Regel, die man nicht akzeptiert, weil man sie doof oder seltsam findet, die wird nicht eingehalten. Das sieht man aktuell beim Filesharing, wo es einfach noch keine vernünftige Regel gibt, auf die sich alle einigen können – und deswegen wird das aktuelle Gesetz einfach von der Gesellschaft gebrochen.

Damit spricht er aus, was in mir schon länger als diffuses Gefühl herumgeistert.

Ich bin Urheber. Gleichzeitig bin ich auch Konsument, der gerne liest, Filme und TV-Serien anschaut und Videospiele spielt – und als Konsument fühle ich mich nicht fair behandelt. Es fällt mir schwer zu akzeptieren, warum ich Filme, TV-Serien und (mit Abstrichen) Bücher nicht in einer Art und Weise konsumieren kann, die drei einfache Bedingungen erfüllt: sie kostet einen fairen Preis, ist bequem und schränkt meine Nutzung nicht künstlich ein.

Fairer Preis: Ein eBook muss nicht gedruckt, gebunden und transportiert werden. Die Produktionskosten sind also geringer als für das gedruckte Buch. Trotzdem kostet das eBook fast genauso viel. Zugegeben, der verlinkte Artikel ist zwei Jahre alt, aber bis heute hat sich an den Zahlen nicht viel geändert (und bei Musik-CDs und Downloads sieht es ganz ähnlich aus).

Eine kurze Amazon-Recherche ergibt Folgendes: „Die Ordensburg“ von Bernhard Hennen kostet als Taschenbuch 9,95 Euro (plus evtl. Versandkosten), als eBook 8,99. „Brandwashed“ von Martin Lindstrom (hier mein Verriss) kostet in der deutschen Fassung 24,99 Euro (die Lieferung ist automatisch versandkostenfrei), als eBook 20,99. Das Taschenbuch wird später die Hälfte dieses Betrags kosten. Warum soll ich also ein Produkt kaufen, dass nicht nur viel teurer ist, als es sein könnte, sondern das darüber hinaus noch viele anderen Nachteile gegenüber dem klassischen Papierbuch hat (s.u.)?

Nun könnte man meinen, dass von eventuellen Mehreinnahmen für ein verkauftes eBook etwas beim Autor ankommt, also zum Beispiel bei mir. Das ist aber nicht der Fall. Eventuelle Zusatzgewinn mit eBooks versickern irgendwo über mir in der Verwertungskette. (Anmerkung: An dieser Stelle würde ich gerne konkrete Zahlen aus meinen Verträgen nennen, aber leider komme ich an diese gerade nicht heran, darum muss ich aus meiner Erinnerung heraus schätzen.) Mein Anteil für eBooks liegt bei ca. 7 Prozent des Nettoverkaufspreises, und damit ist er ungefähr genau so hoch wie der für gedruckte Bücher. Warum soll ich das bestehende Modell also verteidigen, wenn die möglichen Einsparungen dank elektronischer Bücher nicht bei mir ankommen?

Dafür eröffnet das Internet Autoren wie mir völlig neue Möglichkeiten. Ich könnte meine Bücher z.B. exklusiv auf Amazons Kindle veröffentlichen und würde pro verkauftem Buch bis zu 70 Prozent bekommen, also das Zehnfache meiner jetzigen Marge. Das klingt doch deutlich besser!

Ich werde bis auf Weiteres trotzdem nicht bei Amazon publizieren, weil ich Wert auf ein professionelles Lektorat, Covergestaltung etc. lege; außerdem will ich vom gedruckten Buch vorerst nicht weg. Es ist also fair, dass meine Verlage für ihre Arbeit einen Teil der Einnahmen an meinen Büchern bekommen. Aber das Beispiel zeigt, welche Gewinnspannen im digitalen Bereich für den Urheber möglich wären.

Bequemlichkeit: Zurzeit halte ich mich in den USA auf und schaue auf Hulu aktuelle TV-Serien On Demand an. Es wird zwar alle zehn Minuten Werbung eingeblendet, und ich kann nur die jeweils letzten 5 Folgen sehen, aber ich bin trotzdem begeistert. Genau so will ich meine Fernsehsendungen anschauen – nicht, wenn das starre Programmschema es vorsieht, sondern wenn ich Zeit und Lust dazu habe. Neben der Werbung gibt es einen weiteren Wermutstropfen: Top-Serien wie „Game of Thrones“ oder „Blood and Sand“ sind nicht bei Hulu verfügbar. Aber so lange ich einen Großteil der Serien, die mich interessieren, sehen kann, kann ich damit leben.

Wie sieht es dagegen in Deutschland aus? Zwar zeigt das Fernsehen viele amerikanische TV-Serien, mittlerweile sogar nicht erst mit einigen Jahren Verspätung, aber längst nicht alle. Und wenn ich die Folgen im englischen Original sehen will, bleibt mir als einzige (legale) Möglichkeit nur die Kauf-DVD. Dabei wäre es technisch überhaupt kein Problem, die Serien auch in Deutschland zu streamen. South Park macht es vor.

Und was DVDs angeht: Wenn ich einen Film auf DVD anschaue, dann will ich nicht minutenlang Raubkopiererwarnungen und kriminalisierende Werbespots sehen müssen, die ich nicht überspringen kann. Ein Film, der von der DVD gerippt wurde, ist schlichtweg bequemer anzuschauen: „Play“ drücken, Film startet, fertig. Aufgezwungene halbgare Erziehungsmaßnahmen empfinde dagegen ich als Bevormundung und als Frechheit, und ich bin mir sicher, dass ich damit nicht allein bin.

Ein Angebot wie Hulu muss noch nicht einmal umsonst sein. Beispiel Netflix: Über diesen Dienst, der ebenfalls nur in den USA verfügbar ist, kann man für 7,99 Dollar im Monat beliebig viele Filme streamen. Laut Wikipedia hat Netflix 24,4 Millionen Abonnenten.

Eingeschränkte Nutzung: Ein eBook bietet mir weniger als das gedruckte Buch: Ich kann es nicht ohne ein taugliches Lesegerät lesen; oft muss ich es sogar auf einem Gerät registrieren und kann es dann auf keinem anderen lesen. Ich kann es vom Autor nicht signieren lassen. Ich kann es nicht verleihen, weiterverkaufen oder verschenken. Der Onlineshop kann mir gekaufte eBooks nachträglich entziehen, und wenn mein Lesegeräte online ist, kann man theoretisch sogar mein Leseverhalten aufzeichnen und auswerten.

eBooks stehen nicht allein da als Verursacher von Problemen, die uns Nutzern durch DRM und Kopierschutzmaßnahmen entstehen. So wurde die Playstation 3 lange Zeit damit beworben, dass man darauf auch Linux installieren könnte („OtherOS-Funktion“), bis den Nutzern diese Möglichkeit durch ein Firmwareupdate nachträglich wieder entzogen wurde. Und der Spielehersteller Electronic Arts wollte sich gar das Recht herausnehmen, die Computer der Käufer seines Spiels Battlefield 3 mit einer Art Spyware zu überwachen. Wie absurd DRM wäre, wenn es sich nicht nur auf immaterielle Güter bezöge, kann man hier nachlesen. Wer mir Inhalte, die ich legal erworben habe, durch derartige Maßnahmen verdirbt, der muss sich nicht wundern, wenn ich mich unfair behandelt fühle.

Was ich will, ist so etwas wie Hulu in Deutschland, ein Streamingportal, auf dem ich einen Großteil dessen sehen kann, was mich interessiert, und das zu einem fairen Preis daherkommt. Ist dieser Wunsch wirklich so utopisch? Oder ist vielmehr die Unfähigkeit der Studios und Verlage frappierend, mit diesem (erwiesenermaßen realistischen) Geschäftsmodell an mir Geld zu verdienen?

Als Urheber will ich auf Verwerter (z.B. meine Verlage) nicht verzichten; ich will mich um das Schreiben kümmern und nicht um den Rest. Aber ich will auch von meinen Büchern leben können, und das kann ich im Moment nicht, obwohl ich mittlerweile sechs Romane veröffentlicht habe. Sicher, niemand zwingt mich zum Schreiben. Aber dann habe ich es auch nicht nötig, ein Modell zu verteidigen, von dem ich nicht leben kann. Für mich kann es mit dem Internet nur besser werden.

Seit ein paar Jahren ist es da, dieses Internet. Es eröffnet Verlegern, Plattenfirmen, Filmstudios und Fernsehsendern die Möglichkeit, immaterielle Gütern zum Nulltarif auszuliefern, und zumindest in den USA kommt dieses Geschäftsmodell allmählich in Fahrt: siehe Hulu, siehe den Buchverlag Tor, siehe das Bezahlmodell der Onlineausgabe der New York Times. Auch für Schriftsteller wie mich bedeutet das Netz einen Paradigmenwechsel: Ich selbst kann schnell und praktisch kostenlos meine Gedanken zu Günter Grass veröffentlichen oder mich an Debatten wie dieser beteiligen. Früher hätte ich ohne einen Verleger keine einzige Zeile veröffentlichen können, und heute kann jeder lesen, was ich auf meinem Blog schreibe. Wie geil ist das Internet, bitte!

Hier ist die Kehrseite der Medaille: Kein Schwein interessiert sich für das, was ich auf meinem Blog schreibe. Aber auch damit kann ich leben.

Damit leben können – vielleicht ist das der am meisten vernachlässigte Punkt in der Debatte. Wo es Angebote wie Hulu gibt, lässt sich eine Regel wie das Tauschbörsenverbot leichter akzeptieren. So etwas möchte ich auch in Deutschland haben, aber man gibt es mir nicht, und da liegt der Hase im Pfeffer. Wo eine Ware nachgefragt wird und verfügbar ist, der Zugriff aber aus nicht verständlichen Gründen verwehrt wird, da besteht ein Legitimitätsproblem.

Um eins klarzustellen: Ich fordere nicht die Legalisierung von Tauschbörsen (zumindest nicht in ihrer jetzigen Form). Schon gar nicht will ich das, was Sven Regener, die Tatort-Autoren und all die anderen Unken mir letztlich unterstellen, nämlich das Urheberrecht abschaffen. Nein, ich will nur, dass das Urheberrecht an die technischen und praktischen Realitäten des 3. Jahrtausends angepasst wird. Zu diesen Realitäten gehört, dass immaterielle Güter jederzeit an jedem Ort verfügbar sein können, ohne Auslieferungskosten und ohne Qualitätsverlust. So ist es nun mal; der Geist geht nicht mehr in die Flasche zurück, auch wenn die Hardliner das nicht wahrhaben wollen.

Das jetzige Urheberrecht kann diese totale Verfügbarkeit nicht in einer Art und Weise regeln, die für alle Beteiligten – Urheber, Verwerter, Konsumenten, demnächst vielleicht auch Sharer – sowohl tragfähig als auch akzeptabel ist. Dieser Mangel an Vermittlungskompetenz ist wiederum die Ursache für das beschriebene Legitimitätsvakuum, zu dessen Symptomen u.a. der Missbrauch in den Tauschbörsen gehört. Ich bin überzeugt, dass wir aus dieser Zwickmühle nur herauskommen, indem wir das gegenwärtige Recht reformieren und an die Veränderungen anpassen. Wer dagegen das Rad zurückdrehen und das Urheberrecht in seiner jetzigen Form um jeden Preis erhalten will, der ist egoistisch, denkfaul und weltfremd.

Dabei kann ich die Motivation von Regener, Hennen & Co ja durchaus nachvollziehen. Ich will auch nicht, dass die Leute meine Bücher tauschen, ohne dass ich etwas davon habe. Doch ziehe ich daraus nicht die Konsequenz, das Tauschen komplett verbieten zu wollen. Zum einen, weil es unmöglich ist: Das Kopieren digitaler Werke für umsonst ist Realität, die sich nicht wegwünschen lässt. Zum anderen, weil es unnötig ist: Es gibt genug Modelle, wie eine faire Entlohnung von Urhebern in der digitalisierten Welt funktionieren kann, z.B. Kulturwertmark, Kulturflatrate, bedingungsloses Grundeinkommen oder das Sharing-Modell von Aigrain. Dass jeder dieser Vorschläge Anlass zu Kritik bietet, rechtfertigt nicht die Behauptung, zum Status quo gäbe es keine Alternativen.

Ich will, dass alle, die meine Bücher lesen wollen, dafür einfache, zeitgemäße und erschwingliche Möglichkeiten geboten bekommt – also genau das, was ich selber gerne hätte, um die Werke anderer Urheber zu genießen. Wenn das bedeutet, dass meine Bücher im Netz getauscht werden, bin ich damit absolut glücklich, so lange ich daran mitverdiene. Denn ich schreibe zwar nicht, um reich zu werden, aber ich lasse mich auch nicht gern übers Ohr hauen – nicht von Nutzern, die meine Werke im großen Stil tauschen, und nicht von Urhebern und Verwertern, die mir mit ihrem Kampf gegen das böse Internetz den Spaß an guten Büchern und Filmen verderben.

Ich schreibe, weil ich gelesen werden will (nicht, dass ich böse wäre, wenn ich mittelfristig davon leben könnte), und für jemanden, der gelesen werden will, ist das Internet die beste Ausgangsbasis, die jemals zu haben war. Macht mir das nicht kaputt, ihr „Urheber“!

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3 Gedanken zu „Warum ich den Aufruf „Wir sind die Urheber“ nicht unterzeichne

    1. Guter Linktipp. Das Interview spricht mir in vielen Dingen aus der Seele, gerade was die drohende Erosion des Rechts an sich angeht. Mehr solcher Links, bitte :-)

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